Tagzeitengebet
Vom Singen der Psalmen

 


1. Vom Singen der Psalmen (Einführung)
2. Zum Singen von Psalmen und Hymnen
 
Als einen wesentlichen Teil biblischer Überlieferung, die der einzelne, eine Gruppe oder Gemeinde bei ihrem Beten gebraucht, enthält unser Buch die Psalmen. Damit nehmen wir nicht nur klösterliche Tradition und die Übung zahlloser Beterinnen und Beter auf; wir stimmen vielmehr auch in das Beten Jesu und seiner Jünger ein, die - wie die Angehörigen des Volkes Israel vor ihnen und nach ihnen - die Psalmen gebetet und gesungen haben. Indem wir uns mit ihnen vereinen, entdecken wir mit Staunen: Wir Menschen von heute sind in diesen uralten Gebeten aufgenommen. Wir erfahren, daß unsere Leiden und Ängste, unsere Freude und unser Dank ernstgenommen werden - aber indem wir sie vor Gott aussprechen, indem wir in das Lob der Taten Gottes einstimmen, verlieren die Nöte an Gewicht, während die Zuversicht wächst. Das Beten der Psalmen, insbesondere der gemeinsame Psalmengesang zielt auf eine innere Haltung, die von gesammelter Ruhe bestimmt ist. Wir empfehlen das Beten von mehreren Psalmen in einer Gebetszeit, damit ein innerer Raum bereitet wird für das Hören auf das Wort und für das aktuelle Gebet.
 
In diesem Buch begegnen uns die Psalmen teilweise in Abschnitte gegliedert und oft in einer Auswahl von Versen, die für das Beten geeignet erscheint. Sie sind auch nicht in der Reihenfolge der biblischen Zählung angeordnet, sondern entsprechend dem liturgischen Gebrauch.
 


 
Dieser setzt mit dem Bezug auf die jeweilige Tageszeit mit dem sog. Stundenpsalm ein; es folgt der Tagespsalm des Wochentages in der Zeit des Kirchenjahres. Erst dann führt der Psalm des Sonn- oder Festtages - in unserer Tradition "Wochenpsalm" genannt, in spürbarer Nähe zum Introitus des Gottesdienstes bzw. zum Psalm der Predigttext-Reihe - auf die Mitte der Gebetszeit hin: auf das Hören der biblischen Lesung. Als Rahmenvers (Antiphon) ist ihm der Wochenspruch des Sonn- bzw. Festtags in einer leicht singbaren musikalischen Fassung beigegeben.
 
Sich gemeinschaftlich in die biblische Gebetsrede der Psalmen hineinzubegeben, ihre - durchweg parallel gestalteten - Aussagen auf die Ebene eines Rezitationstones (mit seinem Zugang und Abschwung, dem "Initium" und der "Kadenz") emporzuheben und den ruhigen Fluß des regelmäßigen Wechsels zwischen zwei psalmensingenden Gruppen durchzuhalten - das erfordert unbedingt eine Anleitung durch den Dienst eines Kantors (einer Kantorin). Dieser singt nicht nur die Antiphon vor, die alle wiederholen; er führt auch eine der psalmsingenden Gruppen (die Schola) an, der er Tonhöhe und Sprech-Sing-Tempo vorgibt, so natürlich wie in jeder lebendigen Rede. Bewußt verzichtet die Notation auf Vorzeichen, auf rhythmische Notenwerte und auf Tempoangaben. In der Mitte eines Psalmverses den Atem loszulassen und ruhig wieder einströmen zu lassen, das führt uns zurück in den gottgegebenen Rhythmus unserer Atmung und verleiht dem gemeinsamen Beten eine große Ruhe. Nach dem zweiten Halbvers setzt sogleich die andere Gruppe mit dem nächsten Vers ein, während die eine zuhören darf - ein Vorgang gemeinschaftlichen Wahrnehmens im Hören und Singen, wie er natürlicher und gesammelter nicht gedacht werden kann.
 

 
So mag in einem solchen lebendigen Vorgang des Hörens und Singens, durch geduldige Übung gezeigt und vermittelt, gelernt und bewährt werden:
  • Ein gemeinschaftliches Sprechen des Textes ist die beste Hinführung zum richtigen, d. h. sprachgerechten Singen der Psalmen;
  • in der Notation zeigt der Schlüssel an, daß unterhalb der Linie, die er umgreift, ein Halbton zu singen ist; daraus ergeben sich alle weiteren Töne, ihre Verbindungen und Intervalle;
  • bei den Antiphonen zeigen entsprechende Striche kleine, größere und große Pausen an, deren Dauer jeweils der syntaktischen Gliederung des Textes entsprechen soll;
  • die Zeichen über den Noten (Kreis,Halbkreis,Strich) weisen auf Dehnung, Gewichtung und Abrundung einer Silbe im natürlichen Fluß der lebendigen Sprache hin;
  • bei mehrzeiligen Antiphonen weist am Zeilenende eine angedeutete Note ("Custos") auf die erste Note der folgenden Zeile hin;
  • die unmittelbar vor dem Psalm gedruckte Musterform für die Rezitation ("Psallierleiste") gibt mit hohler Note den Rezitationston an, mit vollen Noten den Aufschwung (Initium), die Wendung vor der Atempause (Mittelkadenz) sowie den Abgang (Schlußkadenz);
  • ein Sternchen * (Asteriscus) markiert die Mitte des Psalmverses und die damit verbundene, entspannende Atempause;
  • ein sehr langer erster Halbvers wird - entsprechend dem Sinn des Textes - durch einen Zwischenton unterhalb des Rezitationstones in Teile gegliedert (Flexa);
  • eine im laufenden Psalmvers unterstrichene Silbe markiert die Stelle, an der der Rezitationston verlassen wird;
  • mehrere unterstrichene Silben werden in der Mittel- oder Schlußkadenz auf den gleichen Ton gesungen;
  • wenn - nicht selten - der erste Halbvers auf einer betonten Silbe schließt, wird die Mittelkadenz verkürzt und ihres letzten Tones "beraubt" (correpta);
  • ein Kreuz + nach einem Psalmvers verlangt die Wiederholung der Antiphon an dieser Stelle, in Klammern gesetzt (+) als Möglichkeit;
  • Für die Cantica gelten diese Psalmsing-Regeln in gleicher Weise; jedoch wird jede Zeile mit dem Initium begonnen;

 
Mit den Hymnen bringen wir das biblische und kirchliche Glaubensgut noch einmal, in einer den Psalmen verwandten und doch anderen Weise, in uns neu zum Klingen.
 
Als ein Gebetslied ganz eigener Art - meist mit vier Zeilen und einem seiner Herkunft aus dem Lateinischen oder Griechischen entsprechenden Sprachmelos spiegelt der Hymnus die freie Dichtung aus der Frühzeit der Christenheit wider. Im Gegensatz zu älteren Nachdichtungen (von Luther bis Klepper, wie sie im Evangelischen Gesangbuch enthalten sind) verzichten die in diesem Buch gebotenen Hymnen gewöhnlich auf den Endreim der Zeilen. Die meisten Übertragungen haben jedoch darauf geachtet, daß jede Zeile einer Hymnenstrophe eine in sich geschlossene Aussage wiedergibt - ein sprachliches Kennzeichen besonderer Art dieser Dichtung.
 
Wer sich in die Hymnen einsingt, entdeckt mit Freude, wie sie die besonderen Empfindungen, die das Begehen der Tageszeit, des Fest- oder Gedenktages erweckt, mit dem Lob der großen Taten Gottes im Sterben und Auferstehen Jesu Christi verbinden. sie enthalten eine Fülle von biblischen Anspielungen, durchweg in bildhafter Sprache. Immer bindet die Schlußstrophe die Singenden mit der Geschichte ihres Heils im Lobpreis des Dreieinigen Gottes zusammen.
 
Auch hier kommt es dem Kantor zu, die erste Strophe zu singen. Danach wechseln sich alle übrigen mit dem Kantor (ggf. mit Schola oder einer Gruppe) im Singen der Strophen ab. Die trinitarische Schlußstrophe wird in jedem Fall von allen gesungen. Es hat sich bewährt, das Modell der Melodie des Hymnus ohne Textunterlegung den Strophen voranzustellen; auf diese Weise prägt sich die Melodie dem Gedächtnis der Singenden leichter ein.
 
In der Regel gestattet und erwartet der Hymnus, nach Text und Melodie, in der Mitte (nach der zweiten Zeile) ein deutliches Innehalten. Mit dem gemeinschaftlich gesungenen Amen wird der Hymnus geschlossen.
 
Aus den Erläuterungen des Evangelischen Tagzeitenbuches


© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 04-11-16
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